Blick auf ein Modell der NRA und PVA in einem Windkanal darstellt.
Abb. 1: Modell der NRA und der PVA im Windkanal (Quelle: I.F.I. Institut)

Planung | Ausführung 14. November 2023 Konfliktträchtig? RWA und Photovoltaikanlagen auf dem Dach

Die Energiewende und das damit verbundene Ziel der Klimaneutralität haben u. a. zur Folge, dass immer mehr Dächer mit Photovoltaikanlagen (PVA) ausgestattet werden. Gleichzeitig müssen viele Gebäude, etwa Versammlungsstätten, Verkaufsstätten, Industriebauten, baurechtlich die Verpflichtung zur Rauchableitung bzw. Entrauchung erfüllen.

Die meisten dieser großflächigen Hallen mit flachen oder schwach geneigten Dächern sind mit Natürlichen Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (NRA) ausgestattet. Die dazu auf den Dächern installierten Natürlichen Rauch- und Wärmeabzugsgeräte (NRWG) müssen die Entrauchungswirksamkeit, die durch die aerodynamisch wirksame Fläche ausgedrückt wird, auch unter allen Windeinflüssen gewährleisten. Die NRWG sind nach DIN EN 12101-2 geprüft und zertifiziert.

Um möglichst viel Strom produzieren und die Anlagen wirtschaftlich aufbauen und betreiben zu können, müssen möglichst große Flächenanteile der Dächer mit Photovoltaiksystemen ausgestattet werden, und die PV-Anlagen müssen möglichst nahe an die NRWG herangeführt werden, um eben diese großen Flächenbedarfe decken zu können.

Kostenloser Download: Themendossier "Entrauchung im Brandfall"

Namhafte Fachautor:innen geben einen Überblick zu Maßnahmen der Entrauchung und Rauchfreihaltung und gehen in verschiedenen Fachbeiträgen auf wichtige Fragestellungen ein.

Das Themendossier "Entrauchung im Brandfall" ist kostenlos als Download erhältlich.

Das Problem

Durch die PV-Systeme wird die normalerweise parallel zur Dachfläche auftretende Windströmung verändert und je nach System stark verwirbelt. Wirken diese durch die PV-Anlagen veränderten Windströmungen auf die Geräte der Rauch- und Wärmeabzugsanlagen ein, werden deren Wirksamkeit und damit die aerodynamisch freie Fläche vermindert. Um eine Beeinflussung der NRA durch die PVA zu unterbinden, muss der Abstand der PVA von den einzelnen NRWG so groß gewählt werden, dass sich wieder eine dachparallele Anströmung auf die NRWG entsprechend der Zertifizierungssituation einstellt, damit die aerodynamisch wirksame Fläche erhalten bleibt.

Zu nah an NRWG geführte PV-Anlagen beeinflussen die Wirksamkeit der NRA. Und wenn hinreichend große Abstände zwischen PVA und NRA eingehalten werden, um die Wirksamkeit der NRA zu gewährleisten, reduziert dies die nutzbaren PV-Flächen und damit die Wirksamkeit der PVA.

Aus der Problemdarstellung ergibt sich die Frage:
Können PV-Anlagen und NRWG ohne negative gegenseitige Beeinflussung auf einem Dach koexistieren?

Die Lösungen?

In der Richtlinie des Verbandes der Sachversicherer VdS 2098 S1 und in der Veröffentlichung des FVLR Fachverbandes Tageslicht und Rauchschutz e. V. sind erforderliche Abstände zwischen den PVA und den Geräten der NRA angegeben. Ist die PVA nicht höher als die Oberkante der Aufsatzkränze der NRWG oberhalb der Dachfläche, so soll nach FVLR ein Mindestabstand von 2 m eingehalten werden und bei höheren PVA ein Mindestabstand von 5 m. Bei einem üblichen NRWG würde das im ersten Fall einen Dachflächenverlust für die PVA von 39 m² bedeuten, im zweiten Anlagenfall aber bereits einen Dachflächenverlust von 138 m². Bei den meisten Bestandsgebäuden wurde ein NRWG pro 200 m² Dachfläche gefordert. Im ersten Fall würde diese Einschränkung einen Dachflächenverlust für die PV-Anlage von 20 % bedeuten, im zweiten Fall aber bereits einen Dachflächenverlust von ca. 70 %.

Dabei ist folgende Frage noch gar nicht geklärt:
Reichen die vorgegebenen Mindestabstände eigentlich aus, um die baurechtlich geforderten Wirksamkeiten der Natürlichen Rauch- und Wärmeabzugsanlagen zu gewährleisten?

Untersuchungen

Für ein spezifisches Bauprojekt mit einer eingeschossigen Industriehalle, die mit einer Natürlichen Rauch- und Wärmeabzugsanlage ausgestattet war, wurde zunächst untersucht, wie die aerodynamisch wirksame Fläche sich verändert, wenn das vorgesehene PV-System in dem vorgesehenen Abstand um ein einzelnes NRWG angeordnet wird. Bei der NRA handelte es sich um ein System aus Lichtkuppel-NRWG mit weit verbreiteten Abmessungen und einem Öffnungswinkel von 165°. Der NRWG-Typ ist nach DIN EN 12101-2 zertifiziert, und die aerodynamisch wirksame Fläche wurde ohne Windleitwände nachgewiesen. Als PV-System war ein Ost-West-System geplant, dessen größte Höhe die Oberkante des Aufsatzkranzes über der Dachfläche nur um wenige Millimeter überstieg.

Als Versuchseinrichtung wurde der Prüfstand zur Bestimmung der aerodynamisch wirksamen Fläche nach DIN EN 12101-2 bei der Zertifizierungsstelle des I.F.I. Instituts für Industrieaerodynamik in Aachen verwendet, der ebenfalls über eine große Düse zur Aufbringung der Windströmung verfügt. Die Untersuchung wurde an geometrisch verkleinerten maßstäblichen Modellen durchgeführt. Für dieses spezifische Bauvorhaben war ursprünglich vorgesehen, die PV-Elemente in einem Abstand von 1,5 m zu den NRWG anzuordnen.

Die ersten Untersuchungsergebnisse haben bereits gezeigt, dass je nach Anordnung der Reihenausbildungen der PV-Elemente eine Reduzierung der aerodynamisch wirksamen Entrauchungsfläche von 40 % bis 45 % aufgetreten ist. Bei einem Abstand der PV-Elemente von 2,5 m betrug die Minderung der Entrauchungsfläche noch 21 % bis 26 %. Würden die Anlagen so ausgeführt, würden also die baurechtlichen Anforderungen definitiv nicht mehr erfüllt.

Bei einem Bestandsgebäude, bei dem die Entrauchungsanlage nicht mit entsprechenden Reserven ausgeführt wurde (das ist meistens so umgesetzt), müsste also eigentlich nach der Installation der PV-Anlage die Nutzungsgenehmigung für das Gebäude entzogen werden, da die baurechtlich geforderte Entrauchung nicht mehr gewährleistet ist.

Was kann man tun?

In weiteren Untersuchungen wurden die Abstände der PV-Elemente zu den NRWG schrittweise vergrößert, um den erforderlichen Abstand herauszufinden, bei dem die vorhandene NRA nicht mehr negativ durch die PV-Anlage beeinflusst wird. Je nach Reihenausbildung des PV-Systems wurde ein erforderlicher Abstand von mindestens 5 m bzw. 7 m ermittelt. Bei diesem Abstand hatte die PVA keine negativen Auswirkungen mehr auf die NRA, und die Baurechtsanforderungen waren wieder erfüllt.

Blick auf ein Dach Mehrfachnutzung: Abluft, Lichtkuppeln, Photovoltaik.
Abb. 2: Mehrfache Dachnutzungen: Abluft, Lichtkuppeln und Photovoltaik (Quelle: Bild von Solarimo auf Pixabay)

Erkenntnisse?

In der Zwischenzeit wurden die Ergebnisse durch weitere Untersuchungen in Rahmen einer Masterarbeit bestätigt. Beide Untersuchungen zeigen, dass die oben zitierten Mindestanforderungen der Verbände nicht ausreichend sind, um eine Beeinflussung der Rauch- und Wärmeabzugsanlagen durch die PV-Anlagen auszuschließen.

Da noch sehr viele Untersuchungen an unterschiedlichen Konstellationen von verschiedenen NRA-Systemen (Doppelklappen, Lichtbandgeräten etc.) und PV-Systemen (Ost-West-System, Süd-System, oberflächenparallele Systeme) durchgeführt werden müssen, um allgemeingültige Aussagen treffen zu können, sind konkrete Aussagen, Empfehlungen und Nachweise für die NRA individueller Bauvorhaben zurzeit nur durch individuelle Untersuchungen zu ermitteln.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass die Auswirkungen der NRA auf die PVA im oben vorgestellten Fall ganz erheblich ist, wurde doch im ungünstigsten Fall ein Verlust der nutzbaren Dachfläche für die PVA von 258 m² pro einzelnes NRWG festgestellt. Bei Gebäuden, deren Entrauchung z. B. nach alter Industriebaurichtlinie mit der Anforderung mindestens 1 NRWG pro 200 m² Grundfläche umgesetzt wurde, wäre dann also gar keine PV-Anlage installierbar.

zuletzt editiert am 21.11.2023